Archiv der Kategorie: Isael-Kritik

Das ewige Israel und wir


Deutsche haben keinerlei Anlass, mit Verachtung auf den jüdischen Staat und Juden zu schauen. Nicht nur wegen der jüngeren Vergangenheit.

Was ist ein großer Unterschied zwischen Deutschland und Israel? Vor rund 3000 Jahren, als Juden in das Gebiet einwanderten, das sie Judäa und Samaria nannten und das Volk und den Staat Israel bildeten, gab es kein Land der Deutschen. Auch viele Jahrhunderte später nicht. In dem Gebiet, das Cäsar Germania benannte, lebten germanische Stämme mit verschiedenen Sprachen und niedrigen Kulturen, die andere Volksstämme überfielen. Erst 1871 wurde das deutsche Kaiserreich gegründet, 1933 das Dritte Reich. Beide entfachten Weltkriege.

Israel hatte schon vor 3000 Jahren eine gemeinsame Sprache und eine hohe Kultur. Nach 2000 Jahren Verfolgung, Vernichtung und Zerstreuung seines Volks wurde es als Heimstatt aller Juden vor 75 Jahren wiedergegründet.

Was haben Israel und die Bundesrepublik gemeinsam?

  • Beide sind seit 1948 bzw. 1949 demokratische, moderne Staaten.
  • Beide verbindet eine jüdisch-christliche Mehrheitskultur.
  • Millionen Deutsche wurden vor der Gründung der Bundesrepublik und der DDR aus ihrer Heimat vertrieben, mehr als eine Million Juden vor der Gründung des modernen Israel aus ihren Heimaten in Osteuropa (sofern sie nicht von Deutschen ermordet wurden) und in arabischen und nordafrikanischen Ländern.
  • Nach dem Ende des erneuten arabischen Angriffskriegs 1967 und der jordanischen Besatzung und Okkupation kam das frühere israelisch-jüdische Stammland Judäa & Samaria (Westjordanland) einschließlich des Ostteils der alten Hauptstadt Jerusalem wieder zu Israel; nach dem Ende des Kalten Kriegs und der sowjet-russischen Besatzung wurde Ost- bzw. Mitteldeutschland mit dem Ostteil der alten deutschen Hauptstadt Berlin 1990 wieder Teil des geeinten Deutschlands.
  • Beide Länder möchten in Sicherheit und in Frieden mit ihren Nachbarn leben. Deutschland ist das in der EU gelungen; Israel ist dabei, mit weiteren arabischen Ländern Frieden zu schließen. Vielleicht irgendwann auch mit den Arabern in den sog. Palästinensergebieten, wenn die der Gewalt abschwören und das Existenzrecht Israels anerkennen.
  • Beide sind Einwanderungsländer. Beide haben große muslimische Minderheiten. In Israel haben ihre Angehörigen zumindest formal gleiche Bürgerrechte. In Deutschland nur ein Teil.
  • Beide Länder sind für Besucher und Einwanderer hoch attraktiv.
  • Beide sind wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich, Israel anders als Deutschland auch technologisch führend.

Der Jude unter den Staaten

Trotz der beiden von ihm ausgelösten Weltkriege und des Menschheitsverbrechens der Shoah wurde das damals noch geteilte Deutschland ab 1949 wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen. Israel, obgleich 1948 auf Beschluss der UN mit ihrer breiten Mehrheit wiedergegründet und obwohl sein Volk seit Jahrtausenden kolonialistischer, völkermörderischer Angriffe ausgesetzt war und ist, wird von einem Großteil der Weltgemeinschaft abgelehnt, auch von einem erheblichen Teil der Menschen in Deutschland. Warum?

Weil es „der Jude“ unter den Staaten ist. Weil man auf das winzige Land genauso wie auf Juden so bequem alle seine eigenen schlechten Seiten projizieren kann. Wenn es Israel und die Juden nicht gäbe, müssten sie erfunden werden, weil sich die sie hassenden nichtjüdischen Menschen in Deutschland und anderswo sonst selbst anschauen müssten. Und das wäre für Viele nicht schön.

Überreste des Frauenaußenlagers Neugraben des KZ Neuengamme

Warum Islamfeindlichkeit nicht das Gleiche ist wie Antisemitismus


Ich wohne seit einem halben Jahr im Süden von Hamburg am Rande der Heide und an Hügeln, die Harburger Berge heißen: Endmoränen der letzten Eiszeit, die bis vor 10.000 Jahren weite Teile Europas bedeckte. Auf einer der höchsten dieser Erhebungen soll einst der Pirat Klaus Störtebeker sein Versteck gehabt haben. Als ich jetzt zum ersten Mal diesen Falkenberg erklomm, sah ich am Fuß des Hügels eine merkwürdige Plattform. Unter Gras und Gestrüpp ist Beton zu erkennen. Was hat es damit in diesem Naturschutzgebiet auf sich, fragte ich mich. Ein Findling löste das Rätsel. Auf einer eingelassenen Platte steht: »An dieser Stelle war bis Februar 1945 eine Außenstelle des KZ Neuengamme. 500 jüdische Frauen mussten unter lebensgefährlichen Verhältnissen für Bauunternehmen im Süden Hamburgs Zwangsarbeit leisten.« Sie mussten auch Trümmer und Bomben räumen. Die Frauen kamen zum Teil aus Auschwitz. Als die Alliierten näher rückten, wurden die verbliebenen Jüdinnen ins KZ Bergen-Belsen gebracht. Von den wenigen Überlebenden starben die meisten dort auch noch nach der Befreiung an Unterernährung und Seuchen.

Ich saß eine ganze Weile auf einer Bank am Rand der Fläche und dachte darüber nach, wer wohl diese Frauen gewesen waren, aus welchen Gegenden Europas sie stammten, was sie für ein Leben geführt hatten, bevor sie hierher verschleppt wurden. Wie sie gelitten haben müssen bei der schweren, gefährlichen Arbeit, sommers wie winters, und wie sie in Baracken an diesem Platz zwischen Birken und anderen Bäumen bei schmalster Kost dahinvegetierten, bis sie an Auszehrung oder Schlägen starben: Vernichtung durch Arbeit, wie es die Nazis nannten. Ob sie Hoffnungen gehabt haben können, dieses Grauen zu überleben und ihre Lieben wiederzusehen? Oder ahnten sie, dass auf sie nur der Tod wartete?

Die Sonne schien, doch es wurde mir kalt. Ein Dreivierteljahrhundert ist das alles her. Aber die Vergangenheit lässt uns, lässt mich nicht los. Mein Vater war Nazi und Wehrmachtssoldat. Er hat an vielen Fronten des Zweiten Weltkriegs gekämpft. Er war auch in Polen im Einsatz. Ob er an Deportationen und der Ermordung von Juden beteiligt war? Ich weiß es nicht. Er hat wie die meisten seiner Tätergeneration mit uns Kindern nie darüber gesprochen. Doch seine dunkle Geschichte, meine Familiengeschichte, belastet mich bis heute. Mein Patenonkel, dessen Name ich trage, war U-Boot-Kommandant. Nach der deutschen Wiederbewaffnung und Gründung der Bundeswehr kurz vor meinem Geburtsjahr setzte er seine militärische Karriere im Bundesverteidigungsministerium problemlos fort.

Hört der Juden-Hass nie auf?

Ich bleibe, mit jetzt 63 Jahren, ein Kriegskind. Die NS-Zeit, der Holocaust überschatten auch mein Leben. Eine zufällige Begegnung mit diesem dunkelsten Teil der deutschen Geschichte wie bei diesem Spaziergang, mit dem Schicksal von Opfern der Shoah, weckt das alles wieder in mir. Mit 19 war ich für einige Wochen mit einer Jugendgruppe in einem Kibbuz. Die Kibbuzim waren großteils Überlebende aus Osteuropa mit biblischen Namen: Nathan, Abraham, Isaac. Wir waren die erste Gruppe junger Erwachsener aus Nachkriegsdeutschland, die in den Kibbuz durften. Mir war beklommen zumute. Ich spürte die schwere Schuld, auch wenn sie nicht meine ist. In einem Bus sprach uns eine ältere jüdische Frau in rostigem Deutsch an. Sie habe seit der Flucht aus Nazi-Deutschland nach Palästina nie wieder ihre Muttersprache benutzt, sagte sie mit stockender Stimme. »Aber ihr seid eine andere, neue Generation. Willkommen in Israel!« Es fühlte sich für mich wie eine Absolution an. Ein Stück Befreiung von der Last auch durch meinen Vater.

An all das muss ich immer denken, wenn ich von der stetigen Zunahme antisemitischer Gewalt höre und lese. Hört der Hass auf Juden nie auf? Aber genauso, wenn ich erfreut sehe, wie durch den Zuzug hundert-tausender Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wieder jüdisches Leben bei uns sprießt. Haben die Heutigen überhaupt eine Vorstellung, was uns durch den Holocaust auch an reicher jüdischer Kultur, Musik, Literatur und Intelligenz geraubt wurde?

Vor Kurzem war ich in einem Konzert jüdischer Musiker aus Russland und der Ukraine, die seit etlichen Jahren in Hamburg und Berlin leben. Sie spielten und sangen fröhliche jiddische Klezmer-Weisen aus der untergegangenen, zerstörten Welt der multikulturellen Schtetl in Osteuropa. Wie können Altnazis, Neonazis, Fremdenfeinde und zugewanderte Antisemiten aus dem arabisch-muslimischen Raum Menschen angreifen, die nichts anderes tun als wir und sie: ihre Kultur, ihre Religion leben, im Land der Täter, und uns damit beschenken? Nur weil sie Juden sind!

Eingewanderte Antisemiten

Ich höre gleich wieder den Einwand, dass für den Großteil der antisemitischen Taten Urdeutsche verantwortlich seien, nicht Muslime. Und dass Muslime ebenso Islamophobie und Angriff en ausgesetzt seien. Beides ist wahr, und doch lasse ich diese Relativierung nicht gelten. Kein Mensch darf wegen seiner Abstammung, seiner Herkunft, seiner Religion diskriminiert, abgewertet, gar attackiert werden – das ist die Lehre der NS-Ära. Sie währt für immer. Doch Antisemitismus und Islamgegnerschaft sind nicht zu vergleichen: Deutsche haben in einem einzigartigen Völkermord sechs Millionen Juden Europas ermordet – wegen ihres Glaubens, vor allem aber wegen ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen »Rasse«. Muslime bilden keine Volksgruppe, keine »Rasse«; sie waren und sind einem solchen rassistischen Menschheitsverbrechen nicht ausgesetzt. Im Gegenteil: Muslimische Araber haben mit den Nazis kooperiert – im Hass auf die Juden vereint. Muslimische Glaubenskrieger, Islamisten genannt, töten auch heute Angehörige anderer Religionen und Ethnien als »Ungläubige«: Im Sindschar-Gebirge zwischen Irak und Syrien haben sie tausende Jesiden abgeschlachtet. In Frankreich auf bestialische Weise Holocaust-Überlebende, Kinder in einem jüdischen Kindergarten, Besucher eines koscheren Supermarkts in Paris nach dem Überfall auf »Charlie Hebdo«. Auf Sri Lanka an Ostern hunderte Christen. Am meisten indes andere Muslime.

Das rechtfertigt in keiner Weise Angriff e auf Muslime, die friedlich unter uns leben. Aber es macht klar, dass sich ein plattes Nebeneinanderstellen von Antisemitismus und Gegnerschaft gegen den Islam oder Muslime verbietet. Juden waren und sind Opfer seit alters her – weil sie zum jüdischen Volk gehören, nicht weil sie an Jahwe glauben. Muslime dagegen waren und sind auch Täter, genauso wie Christen. Was das mit dem Islam und dem Koran zu tun hat, ist hier nicht Thema. Aber jeder, der in Deutschland lebt und leben möchte, muss eine Kernverpflichtung unserer Gesellschaft, unseres Staates beachten: In diesem Land und von ihm aus dürfen Juden nie wieder Opfer werden!

Solidarität mit Israel

Das bedeutet auch, dass alle in Deutschland Lebenden zur Solidarität mit Israel als Heimstatt und Rettungsland der Juden verpflichtet sind. Bei aller berechtigten Kritik an der unversöhnlichen, friedensfeindlichen Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern können wir im nicht endenden Nahostkonflikt nicht neutral sein. Das Existenzrecht Israels ist unverhandelbar – ob irgendwann hoffentlich neben einem Palästinenserstaat oder in einer Ein-Staat-Lösung. »Israelkritik« kann und darf keinen Raum haben, genauso wenig wie Aufrufe zum Boykott israelischer Waren unseligen Angedenkens. Hinter solchen radikalen Anfeindungen des Zionismus verbirgt sich in aller Regel nichts anderes als eine Spielart des Antisemitismus.

Den Islam, insbesondere seine fundamentalistische, intolerante, Frauen, Andersgläubige und die westliche Kultur verachtende mehrheitliche Auslegung und Praxis hingegen darf man kritisieren. Wie jede Religion. Wie auch extremistische, aggressive jüdische Glaubenspraxis. Dazu verpflichtet das Erbe der Aufklärung. Beim Gedenken an die Opfer der schlimmsten Epoche des Antisemitismus wie an den Harburger Hügeln jedoch hört jede Kritik auf. Da kann es nur Trauer und Scham geben.

Leicht gekürzte Fassung meiner Kolumne in der neue Ausgabe der Zeitschrift Politik & Kultur des Dt. Kulturrats

Es sollte ungefährlich sein, Kippa zu tragen


Jüdische Organisationen rufen dazu auf, aus Solidarität mit den bedrohten, angegriffen Juden heute Kippa zu tragen. Doch ihr Zentralrat warnt, stattdessen lieber eine Basecap anzuziehten – ein erschreckendes Zeichen, wie aggressiv der Hass auf Menschen jüdischen Glaubens und jüd. Herkunft wieder ist – nicht nur, aber gerade bei zugewanderten Muslimen und Arabern. Weiterlesen